Populationsdichte und Struktur,
Übervölkerung und Ressourcen,
Alternativen und Aggression
Anmerkungen zu einem Thema,
das der neuen Unübersichtlichkeit
zum Opfer gefallen ist.
Alle Lebensgemeinschaften haben eine Größe, eine
Zahl an Individuen,
die nicht überschritten werden kann, ohne daß eine
mehr oder weniger
brachiale Dichteregelung einsetzt. Während dies in der
modernen Geschichte
im Wesentlichen der Krieg war, geschah es in der vorzivilisatorischen
Epoche
durch Kindstötung, Verhütung, Blutrache, Krankheit,
Hunger, Ausstoßung usw.
Vermeidbar waren diese Kruditäten nur, wenn es gelang den
Organisationsgrad
zu steigern. Die Erfindung des Pfluges, die Entwicklung der Sprache,
die
Einführung des Geldes, der Sklaverei, der Disziplinierung, der
mehrstufigen
Hierarchie vor allem, brachten regelrechte Sprünge in der
Verdichtung und
der Vergrößerung der Bereiche. So vollzog sich
beispielsweise der Schritt von
der Gartenbaukultur zu den antiken Großreichen durch viele
Verbesserungen in
Vorratshaltung und Produktion, hauptsächlich aber durch die
Einführung der
mehrstufigen Hierarchie. .
Organisationsgrad und/oder Dichteregelung sind eisern mit der
Verdichtung
verbunden; sie ereignen sich mit Macht und völlig
unabhängig von unserem
Willen. Lassen wir der Verdichtung ihren Lauf, haben wir keinen
Einfluß mehr
auf ihre Folgen. Die Verdichtung ist der Taktgeber der Geschichte. Mit
dem
Wachstum der Bereiche wird z.B. die Blutrache - sofern der
Organisationsgrad
nicht mitwächst - zum Genozid, die Krankheit zur Seuche, die
Gruppe zur Masse,
der Abfall zum Gift, der Karren zur Pipeline, die Herdflamme zur
Polschmelze,
.
Das Wachstum
der Großbereiche war für das Individuum nicht
weniger gefährlich als die
Expansion benachbarter Horden. Gerieten diese Bereiche aneinander,
geschah
dasselbe wie oben, nur blutig vervielfacht um die Zahl der beteiligten
Individuen.
Der Begrenzer, noch besser die deadline des
Wachstums sind die
Ressourcen. Ihr Strom und damit ihr Verbrauch wächst in der
Regel schneller
als die Zahl der Individuen, weil mit diesen auch der Organisationsgrad
und
seine Hilfsmittel (Vorratshaltung, Pipelines, Verkehrs und
Energiegewinnungs-
anlagen...) erstellt und aufrechterhalten werden müssen.
Daraus ergibt sich
auch die Unmöglichkeit des Rückbaus: Einrichtungen,
die für bestimmte Größen-
ordnungen geschaffen wurden, funktionieren nicht für
geringere. Ein Bild
dafür sind große Kanalisationsrohre, die bei
nachlassendem Fluß keine Fest-
stoffe mehr transportieren. Oder: wo Großkraftwerke obsolet
werden, kann
keiner mehr eine Dampflok bedienen, geschweige denn in Betrieb halten.
Ja,
nicht einmal einen Faustkeil können wir heute herstellen. D.h.
jede Dichte
hat ihren zugehörigen Organisationsgrad, der aber nur
aufwärts- nicht mehr
abwärtskompatibel ist. M.a.W. eine Steigerung erfolgt
kontinuierlich, eine
Senkung gewaltsam durch Zusammenbrüche, durch Krieg etc.
Voraussetzung und Folge für wachsende Gesellschaften ist eine
Beschleunigung
des Ressourcenstromes. Das erreichen verbesserte Techniken,
Disziplinierung
bei Verbrauch und Kriegführung, Erschließung
weiterer oder neuer Ressourcen-
felder, Kooperation und Versklavung.
Die Techniken der Versklavung unterwarfen zahlreiche Menschen der
Steuerung.
Die Steuerung durch Gewalt war jedoch sehr aufwendig, weil sie direkten
Zwang auf das Individuum ausüben mußte. Insofern
stellte die feudalistische
Steuerung durch Geld einen Fortschritt in der Effektivität
dar. Es wurde das
Interesse des Steuernden durch das Interesse des Gesteuerten
unterstützt;
letzterer mußte
nicht nur das Geld aufbringen,
er wollte
es auch, um indirekten, aber durchaus
fühlbaren Nachteilen zu entgehen. Heute ist die Steuerung
durch Geld dabei,
die gesamte Menschheit unter das Diktat des Profits zu bringen.
Obwohl über Bevölkerungsdichte viel geschrieben und gerechnet wurde, ist scheinbar noch lange nicht bekannt, mit welcher Macht sie auf die Form der Gesellschaft, auf das irdische Leben und die Befindlichkeit der Individuen wirkt. Schließlich war es nur die Verdichtung, die uns vom Faustkeil zum Internet, vom Häuptlingsstab zur Bürokratie, vom Misthaufen zum Verschmutzungsrecht, vom Totschlag zum Genozid und vom Kral zum Slum geführt hat. Was die Macht und Gewalt des Zusammenhangs anbetrifft, so ist er leicht einzusehen, wenn man sich einmal vorstellt, daß eine Stadt verschwindet und ihre Bürger sozusagen auf der grünen Wiese sitzen läßt. Nur der Kannibalismus könnte das Überleben einer Restpopulation ermöglichen.
Das ist zwar der Extremfall, aber auch viel kleinere Schwankungen im Organisationsgrad haben schon gesellschaftliche Katastrophen im Gefolge. Man denke nur an seine Aufweichung / Minderung, an die Unordnung und das Unglück dadurch, daß das Vertrauen in eine auf den Geldscheinen befindliche Zahl verschwindet. Zahllose Existenzen gingen zu Bruch, ja ein Bürgerkrieg war möglich. Wahrscheinlich könnten wir nicht einmal einen Rückfall des Organisationsgrades um 50 Jahre vertragen. Denn was geschähe, wenn Anlagen, Ausbildung und Verwaltung nur noch für das Dampflokzeitalter reichten und weder Bergwerke, Loks noch Kohlenbansen vorhanden wären? Die Frage lautet: wie mache ich die strenge Verkettung zwischen Organisationsgrad und Dichte plausibel? Sicher, sie wird hier und da gesehen und auch ausgesprochen, aber ihre Universalität, Empfindlichkeit und Strenge sind damit nicht erfaßt.
Ein Blick auf die Geschichte soll den Begriffen etwas Kontur geben. Der technische Organisationsgrad machte den größten Schritt mit der Zähmung des Feuers. “Zähmung” ist insofern von Gewicht, als nicht die Zündung, sondern die Eingrenzung des Feuers, seine Nutzbarmachung und Konzentration die eigentliche Revolution und die Hauptarbeit darstellten. Übrigens in Analogie zur Atomtechnik. Organisatorisch konnte unter den entsetzten Blicken der Unschuldsvermuter bei den Gorillas der Schritt von der Jagd zum Krieg beobachtet werden. Unerachtet der moralischen Wertung ein großer Schritt, weil es zu geführter koordinierter Tätigkeit und gemeinschaftlicher Dichteregelung kam. Noch gravierender dürfte aber die Herausbildung der mehrstufigen Hierarchie am Ende des Neolithikums gewesen sein. Erst und ausschließlich mit ihrer Hilfe waren die Populationen der Großreiche zu bilden und zu erhalten, waren Landwirtschaft, Bewässerung und Vorratshaltung im erforderlichen Umfang möglich. Einen Schritt von solcher Tragweite hat es vielleicht bis heute nicht wieder gegeben, aber es gab zahllose Verbesserungen oder sagen wir, Effizienzsteigerungen mit dem weiteren Anwachsen der Bevölkerung. Dazu gehörten vor allem Waffentechnik und Strategie, die Geschwindigkeit und der Umfang der Informationsübermittlung und -speicherung und, mit einem sprunghaften Anstieg der Verdichtung, der Schritt von der Freisetzung der Holz- zur Kohleenergie. Einen weiteren Sprung ergab die Nutzung von Öl und Atom, begleitet von immer höheren Abstraktionen der Ressourcen, also vom Geld zur Aktie, zur Option und zu den Derivaten, deren Steuerungsmacht sich gegenwärtig im Zuge der Globalisierung voll entfaltet.
Die Gefährlichkeit der Verdichtung äußert sich bereits zahlenmäßig durch ihren Verlauf. Sie wächst mit ihrer Größe, d.h. exponentiell. Da auch viele ihrer Folgen, insbesondere Ressourcenstrom und -schwund, diesen Verlauf haben, ergibt sich eine gewaltig aufsteigende Schadwirkung. Sie destruiert vorhandene Ordnungen, indem sie Paradiese in Vernichtungslager verwandelt und erzwingt zugleich Neue, indem sie immer reichere und komplexere Formen gesellschaftlicher Ordnung und Infrastruktur hervorbringt. Wächst die Bevölkerung zu schnell, schießen nur enge und hohe Hierarchien tödlicher Lenkbarkeit auf. Dann haben wir Tora Bora umgeben von Wüste und Mittelalter. Bei angemessenem Wachstum, dem die Ordnungsbildung folgen kann, ergibt sich temporär ein Organisationsgrad, der eine allgemeine Grundversorgung gewährleistet. Aber auch diese fällt mit der Zeit durch Konzentration und durch die Vermehrung von Privilegien einem wohlbekannten Alterungsprozeß, nämlich der Produktion von Ungleichheit, zum Opfer. Jedoch nur, wenn der finale Spielverderber, der Ressourcenschwund nicht vorher Schluß gemacht hat.
Nun sieht für viele Menschen Übervölkerung so aus wie in einer afrikanischen Megastadt. Zweifellos ist die hier sichtbar explodierende Bevölkerung die unmittelbare Ursache für das Elend. Die Dichte ist so hoch, daß nicht einmal ausreichende Ernährung für die Kompensation des Schwundes an Distanz, Freiheit, Sicherheit, Kommunikation, Hygiene usw. - Ressourcen von gleicher Bedeutung wie Platz und Futter - sorgen könnte. Der geringe Organisationsgrad bedingt den Zugriff auf die leicht erreichbaren Ressourcen, wie Wald, Atemluft und Weideland, die einfach vernichtet werden. Begleitet von Hunger, Seuchen und Bürgerkrieg. Indessen sind die indirekten Wirkungen der Verdichtung, sagen wir in den Industrieländern, die unter dem hohen Organisationsgrad der Zivilisation stattfindet, noch weit gefährlicher. Sie setzen um Größenordnungen höhere Ressourcenströme in Bewegung, sie kontaminieren für Jahrzehntausende, sie heben den Spiegel der Weltmeere, machen durch Stürme bereits Landstriche unbewohnbar, flämmen die Pflanzendecke ab, heizen die Atmosphäre auf und saugen die Ressourcen der weniger Organisierten durch Konzentration ab. So gesehen sind die Bestellzettel unserer geordneten Wirtschaft weit destruktiver als die Mordbrennereien irgendwelcher Stammesmilizen.
Von der einen Seite hören wir, die Gesellschaft könne genesen, wenn wir die Traumata der falschen Sozialisierung, vor allem Aggression und Erwerbstrieb, heilten, von den anderen, es müsse nur das System geändert oder beseitigt werden, welches auf der Macht der abstrahierten Ressourcen beruhe. Nun konnte leider noch nie die Gesellschaft erprobt werden, die ausschließlich aus guten Menschen besteht und auch die Abschaffung des Geldes hat noch keinen Tag überlebt. Schon der Versuch erforderte einen Lagerstaat im Staatslager. Dabei sehen wir, daß weder der Glaube noch das System mit dem Wohl und Wehe seiner Inhaber korrelieren. Kurz, die Welt wird nicht von Gut und Böse gesteuert, sondern von der Verdichtung, oder, sofern wir die Gefahren der Verdünnung einbeziehen: vom Verhältnis zwischen Dichte und Organisationsgrad.
Nun gibt es eine Ideologie, die sich ausführlich mit der Verderbnis der Menschen beschäftigt und daraus die Ursachen des Unheils ableitet. Der Autoritäre Charakter, die fehlende Beißhemmung, die Erziehung zum Gehorsam usw. bringen Menschen hervor, die das Böse anordnen und ausführen. Das ist zwar nicht falsch, aber es ist auch nicht die Voraussetzung für das Ungemach in der Welt. Ein Kapitalist mit menschlichem Antlitz muß wie der Böse die Konzentration fördern, um sein Unternehmen zu erhalten, ein Sozialist der reinen Sorte muß die Ressourcen so verteilen, daß die Verwaltung nicht leidet; er muß notfalls das Glück erzwingen. Beide müssen als Lenker von Gruppen ihre Aufgabe so wahrnehmen, daß Einzelschicksale hinter den Gruppenerhalt zurücktreten. Das Absehen von Einzelschicksalen bedingt immer ein wenig Unmensch im Charakter. Ohne es kann niemand eine Steuerungsvollmacht übernehmen, logischerweise, weil gemeinsame Bewegung nicht nach individuellen Präferenzen erfolgt. Nun wird im akademischen Bereich ausschließlich die Formalhierarchie gepflegt, aber nicht wahrgenommen. Die Funktionale existiert nicht einmal als Begriff, so daß ihre globale Blütezeit von Titeln wie “Das Ende der Hierarchie” begleitet wird. Die Unkenntnis bezüglich des Begriffs ist fundamental und weit verbreitet.
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Es zeigt sich, daß unabhängig vom System gewisse Strukturen, wie zB die hierarchische Steuerung, überdauern und daß diese Strukturen Handlungen erzwingen, die unabhängig von der Güte und Moral der Menschen sind. Und wir finden weiter, daß diese Strukturen ihrerseits erzwungen sind und fragen uns, was die Strukturen erzwingt. Die erste Antwort wäre, es ist die reine Menge der Individuen, klar, denn einer allein kann keine soziale Struktur bilden, Zweie reichen nicht für eine einfache Hierarchie und erst wenn die Hordengröße wesentlich überschritten wird, zeigt sich allmählich die Notwendigkeit der mehrstufigen Hierarchie. Noch stärker dürften aber die Notwendigkeiten der Steuerung, der gemeinsamen Bewegung von Vielheiten, Hierarchiebildung erzwingen. Arbeitsteilung und ausgebildete Verwaltung, Privilegien und Rituale reichern die Struktur immer mehr an, so daß bei einer gewissen Bereichsgröße der Aufwand der Verwaltung infolge der Komplexität ihren Nutzen überschreitet. Der Zusammenbruch des Bereichs erscheint im Blickfeld. Bis dahin aber muß die Organisation oder die organisatorische Struktur immer der Verdichtung folgen - bei Strafe der Vernichtung.
Damit steigt der Druck auf die Individuen, bis sie selbst zur Dichteregelung schreiten. Der Krieg beginnt, wobei die Unterschiede zwischen den Menschen nicht seine Ursache sind, sondern nur die Frontlinie markieren. Aber auch eine Revolution kann an der Struktur nichts ändern; sie kann nur einige Privilegien kurzfristig ersetzen und wechselt wenigstens das Personal. Der Fortschritt besteht dann darin, daß die Neuen, die das Böse gestürzt haben, die Gnade der Vorläufigkeit für sich in Anspruch nehmen können. Nehmen wir den Organisationsgrad (mit allem, was landläufig darunter verstanden wird, wie Hierarchiestufen, Wissen, Ausbildung, Dressur, Tradierung, Infrastruktur und alle personellen und technischen Abhängigkeiten) als Maß für Strukturierung, dann haben wir Zahl und Dichte der Individuen als die unerbittlichsten Treiber des Organisationsgrades gefunden. Zur Organisation gehört schon empirisch die Produktion von Ungleichheit, d.h. die Teilung erst in arm und reich und dann in bitterarm und superreich, wiederum wachsend mit dem Populationsdruck. Diesen Effekt lehrt momentan die Globalisierung uns fürchten.